Welcome to Babylon

Dienstag, 24. April 2007

Wenn der Aal zweimal klopft

Wenn man sich nach übertriebenem Bierkonsum am Vortag und unter Auslassung des danach obligatorischen MoBiSchis in Folge morgendlicher Zeitnot den ganzen langen Arbeitstag aufs feierabendliche Abköddeln (ich bin kein notorischer Heimscheißer aber aus Gründen des Respekts verzichte ich darauf, meine Arbeitskollegen im räumlich äußerst knapp bemessenen Büro geruchlich über die zwangsläufigen Maßen hinaus zu belästigen) freut, muss es ja so kommen:

Mit anklopfendem Aal meistere ich den übertrieben langen und wie immer mit übertrieben großen Menschenmengen gesäumten Heimweg gerade noch eben so, indem ich das letzte Stück halb veitstänzelnd halb im gebückten Gang meines damaligen Akkordeon-Lehrers Herr Veermeier zurücklege. Außer dessen prägnanter Fortbewegungsart hat er mir übrigens kaum was beibringen können.
Nun gut: Tür aufgeschlossen und auf die kurze Zeit, die mir zum ausgiebigen Verweilen im porzellanen Wellness-Tempel verbleiben würde, bis Mitbewohner Pepo heimkehrte, gefreut. Pepo will ich aus ähnlichen Respekts- und Raumgründen ebenfalls nicht mit meinen Ausdünstungen über die Maßen belästigen.
Doch dann kommt es wie es kommen muss, das Papier ist irgendwie von der Rolle, ich merke es aber noch frühzeitig genug, bin also nicht auf den wertvollen Tip Charles Bukowskis angewiesen, der für solcherlei Fälle in Faktotum empfiehlt, die Unterpinte zu opfern.
Schweren Herzens und Hinterns also wieder auf die Straße, in der Hoffnung, der arabische Höker von ummie Egge kann mir mit Poabwisch-Equipment aushelfen. Nix. Merkwürdiges Getreide in allerlei Formen und Farben aber kein Klopapier. Auf dem hoffnungsvollen Weg zum chinesischen Krämer, noch Kurz Gedanken gemacht, ob Araber keinen Stuhlgang haben, sich anders behelfen oder womöglich…nein, es kann nicht sein, was nicht sein darf. Kürzen wir die Sache hier ab:
Auch den chinesischen Laden musste ich unverrichteter Dinge ohne Toilettenpapier in allen mir zur Verfügung stehenden Artikulationsformen inklusive Pohüsteln rohrspatzig fluchend wieder verlassen.
Aus sämtlichen Körperöffnungen Wut schnaubend, peilte ich dann den viel zu weit weg liegenden nächsten, mir bekannten, Supermarkt an. Da ich aber, durch den Umweg über den Chinamann, dismal einen anderen Weg einschlug, hatte ich das unfassbare Glück einen mir bis dato unbekannten Supermarkt zu finden! Hinzu kommt, dass es sich bei diesem auch noch um einen Discounter handelte ich also einen 20er Pack zum Preis von einem 10er Pack erstehen konnte. Grande!
Zu Hause traf ich dann zeitgleich mit Pepo ein, der sich auch erstaunt darüber zeigte, dass sich ganz in unserer Nähe ein Discount-Supermarkt befindet. Hierzu gilt anzumerken, dass der Italiener an sich lieber den doppelten Preis für Markenprodukte in einer vergleichsweise anheimelnden Atmosphäre eines normalen Supermarktes ausgibt als wie der Deutsche an sich zu Aldi oder Penny zu gehen.
Auch ich trage gerne schöne Kleidung und esse leckere Dinge. Wenn es sich vermeiden lässt, muss es aber keine Sonnenbrille für zwei- bis dreihundert Euro sein und wenn auf dem Frischkäse Miree statt Bresso steht, ist mir das auch egal. Dem Italiener an sich aber offensichtlich nicht. Der verzichtet lieber auf andere Luxusartikel. Wie zum Beispiel eine eigene Wohnung.
Am Wochenende habe ich nämlich den guten Pepo nach Hause zu seiner Familie in Brescia begleitet (ein Ausflug über den noch öfter berichtet werden soll, wenn ich dazu technisch irgendwann einmal in der Lage sein werde, hoffentlich auch in Form eines hier zu bewunderten Filmes, den ich gemacht habe). Da war ich unter anderem am Samstag mit zu der Geburtstagsfeier seines besten Freundes Massimo eingeladen.
Die „Party“ fand im kleinen Kreis bei den Eltern von Massimo und Sara, der Schwester, statt. Schließlich wohnen beide, er 29, sie 25, wie selbstverständlich noch zu Hause. Zu der merkartigen Festivität soll an einem anderen Tag von mir noch mehr geschrieben werden, wenn ich da mal Bock drauf habe, im Moment ist nur wichtig: Als ich mal lullern musste, bat ich Massi höflich mir doch den Weg dorthin zu zeigen. Ein Fingerzeig hätte gereicht, groß war die Wohnung nicht aber er so gleich: „Nee, hier, komma mit, digger, kann ich dir aufm Weg dahin gleich nochma mein Zimmer zeigen!“
Wir betraten das Zimmer des 29-jährigen, das noch sehr nach Pubertät aussah, inklusive Kuscheltieren und tollen Postern von Sportlern und Popstars, die er mir alle zeigte. Und ich dann so: „Ach ja, und da ist ja auch Jesus!“ Darauf Massi: „Ach das, nee, das gehört meiner Schwester!“ Da fiel mir erst auf, dass sich in dem 15-Quadratmeterzimmer zwei Betten befanden. Massimo und Sara teilten sich also schon ihr Leben lang ein kleines Zimmer. Auch, dass beide bereits ihr Studium (er Informatik, sie Jura) abgeschlossen und Jobs haben, ist für beide noch kein Grund auszuziehen.
Ich hingegen war, zurück in Mailand, froh, mein Klopapier selbst und zwar beim Discounter zu kaufen und dafür beim Geschäft ungestört zu sein. Dass Pepo nun zu Hause war, hmm, sein Pech.

Donnerstag, 19. April 2007

Buenas noticias

Ein weiteres schönes Beispiel für die hübschen Geschichten, die sich in diesem Zauberland abspielen:
Die Meldung ist schon etwas älter und außerdem von der Website der spanischen Rundfunkkette Cadena Ser, aber ich hab sie nunmal jetzt erst entdeckt und möchte sie Euch nicht vorenthalten. Wer Spanisch kann, darf sich über das Original freuen:

Acaba a puñaladas con sus amigos después de ver a su novia en una película porno
Uno de los actores masculinos era su mejor amigo


Der Rest muss mit meiner deutschen Interpretation Vorlieb nehmen:

Um das gemeinsame Abendessen etwas zu beleben, beschlossen sechs junge Männer in Rom, sich einen Pornofilm auszuleihen.
Kurz vor Mitternacht setzten sie sich vor den Fernseher. Doch einer von ihnen, ein junger Mann von 22 Jahren, konnte nicht glauben, was er dort sah. Die Hauptdarstellerin des Streifens, die hemmungslos dem Partnertausch frönte, war seine Freundin.
Überdies erkannte er in einem der diversen nackten Männer, seinen besten Freund, der ebenfalls beim Abendessen anwesend war.
Von der harten Realität getroffen, schlug die anfängliche Verblüfftheit des jungen Mannes schnell in Empörung um. Er verließ das Wohnzimmer und ging in die Küche, von wo er mit einem Messer in der Hand zurückkehrte und außer sich vor Wut auf alle Anwesenden einstach.
Das Abendessen endete mit dem Eintreffen der Carabinieri. Von den sechs Teilnehmern des Abendessens wurden drei mit schweren Bauchverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert und der Täter wurde festgenommen. Des mehrfach versuchten Totschlags angezeigt, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
Der Nebendarsteller des Films, der Freund des Täters, sagte gegenüber dem Richter aus, dass er nichts davon wusste, dass der Film auch in dem Land seines Drehortes vertrieben werden würde. Die Freundin, kurzzeitiger Pornostar, fuhr einen Tag nach den Vorkommnissen in den Urlaub.


Wie gesagt, hier ist jeder gerne mal Hauptdarsteller.

Mittwoch, 18. April 2007

Die guten Nachrichten

Das beste an Italien sind nicht die fantastischen Kunstschätze des Landes, das gute Wetter, das ausgezeichnete Essen, der schmackofatzige Espresso oder die atemberaubenden stolzen Schönheiten mit den riesigen Sonnbrillen. Nein. Es sind die Nachrichten.
Nicht so sehr wie sie präsentiert werden, als vielmehr was überhaupt so passiert. In der ersten Woche meines Aufenthaltes in diesem Land war ich noch davon überzeugt, dass ich es auf gar keinen Fall hier bis August überleben könnte, da wahrscheinlich bis dahin die Welt an sich gar nicht mehr existierte. Eine Auswahl der Schlagzeilen, die mir in den ersten Tagen nach meiner Anreise so um die Augen und Ohren geschleudert wurden, lassen meine Furcht vielleicht nicht mehr so unbegründet erscheinen:

- Vulkanausbruch auf Stromboli, verschlingt ein Tsunami Italien?

- Smog-Alarm: Ein Tag in Mailand kommt dem Rauchen von 15 (FÜNFZEHN) Zigaretten gleich

- Smog-Alarm: Autofreier Sonntag in der Po-Ebene

- Mein Favorit in der ersten Woche:
Mailänder Lehrerin schneidet einem Schuljungen die Zunge ab


Dass derselbe Junge einen Tag nachdem ihm angeblich die Zunge coupiert wurde, relativ bumsfidel vor der Kamera mit zensiertem Gesicht ein Interview gibt und dabei nicht mal lispelt, machte mich dann doch etwas stutzig und ich wollte von meinem damals neuen Mitbewohner Dottore Paolo Magrini (Pepo) wissen, wieviel Wahrheitsgehalt denn den italienischen Nachrichten so im Allgemeinen beizumessen sei. Seine Antwort war wieder einmal ein mustergültiges Beispiel seiner schlichten Weisheit: “In Italy nothing is serious because everything is too serious.”

Mit anderen Worten: Die italienische Gelassenheit gegenüber Skandalen, Korruptionen und Katastrophen aller Art bedingt wechselseitig ein immer höheres Maß an ebenjenen in den Schlagzeilen. Hoyzer, Möllemann oder ein paar schwarze Konten könnten hier niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Dazu müsste man deren Geschichten schon etwas aufpeppen.

Hinzu kommt der Umstand, dass der Alltag einer Stadt wie Mailand allein schon derart reißerisch daherkommt, dass es schon eine echt fetzige Headline braucht, um dagegen anzustinken.

Ich habe zur Zeit außerdem das Glück, dass sich meine direkte Nachbarschaft derzeit aktiv daran beteiligt, die Interessantheit der Schlagzeilen aufzuwerten. Vorgewarnt war ich bereits etwas, als mir eines Sonntags folgendes widerfuhr:

Nichts (zumindest nichts Böses) ahnend, lag ich gegen halb acht auf dem Sofa und hab mir eine der zahlreichen dümmlichen Sendungen des unfassbar bekloppten italienischen Fernsehens reingetan. Da hör ich aus Richtung Badezimmer ein furchtbar lautes Kratz- und Gehandwerkelgeräusch. Na, denk ich dann so bei mir, der Italiener an sich nutzt den Sonntagabend wohl auch mal ganz gerne zur Verschönerung des Eigenheims. Als nach zehn Minuten der Lärm immer unerträglicher wurde, dachte sich Pippo: Guckt er mal nach. Ins Badezimmer gegangen, hört der Lärm schlagartig, sozusagen mit dem Lichtanknipsen, auf. Hmmm, kam der Lärm aus dem Hof? Mal das Badezimmerfenster aufgemacht. Nanu, waren die Brecheisenspuren auf dem Fensterrahmen schon vorher da?
Unglaublich. Da versucht doch irgend so eine Knallcharge bei mir einzubrechen, während ich zu Hause bin!
Ich stürmte auf den Balkon (wenn man das bei einer Parterrewohnung so nennen kann) und sah noch gerade den unbeholfenen Einbrecherwilli auf seinem Moped davondüsen.

Vorwarnung Nr. 2:

Oder aber als ich fröhlich pfeifend samstagmorgens das Küchenfenster öffne und in das schmuddelige Gesicht eines Sintis Romas ungewaschenen Heckenpenners Zigeuners Schwattoogs blicke, der mit seiner Familie vor meiner Wohnung auf dem Gehweg campt. Moin! Fenster wieder dicht.

Vorwarnung Nr. 3:

Oder aber der Umstand, dass ich auf dem Weg zur Arbeit und wieder zurück der einzige Europäer bin.

Aber ahnen kann man ja auch trotz dieser Vorwarnungen nicht, dass die Chinesen in ihrem Ghetto angestammten Quartier auf einmal revoltieren und mit Steinen auf die Staatsmacht werfen.
Gut, sagt, die Vertreterin der chinesischen Gemeinde gestern im Fernsehen, was will man erwarten? Dass sie die Gesetze einhalten? Aber die kennen sie ja gar nicht! Stimmt, in China ist es ja schließlich auch völlig legal, Polizisten mit Steinen zu bewerfen. Da könnte man als Chinese ja denken, dass man das überall auf der Welt darf.
In Wahrheit haben die Chinesen natürlich sehr wohl die italienischen Gesetze begriffen. Allerdings die ungeschriebenen. Denn das wichtigste ist natürlich, dass überhaupt was los ist, frei nach dem Motto schleswig-holsteinischer Familienfeiern:
Schallt ja wat schnackt war’n.



P.S.: Meine argentinische Arbeitskollegin Adriana hat Foddos von dem Geburtstag meiner Hamburger (Dresdner) Arbeitskollegin gemacht und auf ihren Blog gestellt. Zu sehen sind meine italienischen, portugiesischen, polnischen, argentinischen und deutschen Arbeitskolleginnen. Der Franzose, der Holländer und die Slowakin fehlen. Die Fettbacke mit der Mutantensonnenbrille (nur 7 Euro hinterm Hbf (die Brille, nicht die Fettbacke (die war teurer))) bin ich.

http://katmchanka.blogspot.com/

Dienstag, 17. April 2007

Keine Komparsen

Gestern war ich mit dem guten Pepo bei Maximo Park, der sympathischen Band aus Newcastle. Im Rahmen der diese Woche stattfindenden Milan Design Week, bei der unter anderem auch MTV Italien als Sponsor fungiert, gibt es zur Zeit jede Menge Veranstaltungen und Konzerte in der Stadt, die man sich größtenteils für lau angucken kann, Sahne!
Nachdem wir mit der Metro und der Straßenbahn durch die halbe Stadt gecruist sind, erwartete uns vor dem von Maximo Park zu bespielenden Laden, dem Rolling Stone, eine doppelt so lange Schlange wie vor einem DDR-Kiosk nach einer Lieferung Bückware.
Nun gut, Pepo zum Bier holen beim Döner/Pizza/Chinamann geschickt und brav eingereiht und das Rock’n’Roll-Lokalkolorit bestaunt. Neben zarten Rockmiezen und auf Provokation gebürsteten Franz-Ferdinand-Imitat-Gören mit Schlips, Chucks und Karotten-Jeansbüx stand vor mir ein Typ der aussah wie aus Mel Gibsons Indio-Streifen entsprungen, sehr beeindruckend.
Drinnen dann von Pepo zu einem Gin Tonic gezwungen worden, mit den Worten: “Heute Abend trinken wir aber mal nicht, ok?” Pepo war nämlich noch stark verkatert vom Sonntag, an dem er einen Aperitivo-Marathon von zwei Uhr Mittags bis Mitternacht absolviert hatte, außerdem litt er wie ich unter dem Pollenflug (der mich heute Nacht übrigens in Form akuter Atemnot jäh aus dem Schlaf reißen sollte).
Als wir uns dann in dem sehr schönen aber picke-packe-vollen Laden im Zentrum der Partycrowd an unseren, nach meinem Geschmack immer viel zu bitteren, Gin Tonics verlustierten, stand vor uns plötzlich ein zirka zwei Meter hohes Wesen aus halb Mensch halb High Heel, das seine Ellbogen abspreizte, auf dass es ja keiner berührte. Unfassbar! Pepo schob dieses abnorme Verhalten auf Amphetaminkonsum, ich auf mit Arroganz gepaarter Blödheit. Dann! Meint Pepo: “Hier guck mal da, die beiden Mädels dahinten knutschen rum. Aber das sind bestimmt gar keine Lesben, sondern die machen das nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen.” Klappte auch ganz gut, zumindest bei mir. Dabei entging meinem, zwar vom Heuschnupfen und der zu Hause gelassenen, noch immer zerschroteten Brille, getrübten Blick nicht, dass diese beiden Mädchen tatsächlich gar keine Lesben waren. Noch nicht mal beides Mädchen waren das, auch wenn man wirklich leicht darauf reinfallen konnte, schließlich war der Junge auch viel stärker geschminkt als seine Freundin.
So, dann erst mal mühevoll aus dem Dunstkreis der Ellbogen-von-sich-Streckerin gelöst und wieder freie Sicht auf die Bühne bekommen, auf der gerade eine italienische Band ihr Set begann. Pünktlich zu dem ersten Ton baute sich allerdings Sideshow Bobs Schwester vor uns auf, die sich von ihrem Bruder vor allem durch einen höheren Körperwuchs und mehr Haare unterschied. War aber nicht so schlimm, optisch hatten die Jungs auf der Bühne ohnehin nicht mehr zu bieten als ein etwas nerdiges und ungekämmtes Äußeres, das an We Are Scientists einerseits und vielleicht Die Strassenjungs andererseits erinnerte. Musikalisch klang das erste Stück ein wenig nach Green Day, der Rest dann so wie Sum 41 und diese Typen, die dieses Kalifornienlied trällern, nur weniger gut gesungen. Schockte aber trotzdem einigermaßen und doch haben wir mitten im Gig lieber eine Zigarettenpause eingeschoben, zu der man nämlich, wie im Deutschland der Zukunft, in eine eigens abgesperrte Raucherzone gehen muss, wo man eigentlich auch schon gar nicht mehr zu rauchen braucht, weil das schon die anderen für einen machen.
Pünktlich zum Auftritt von Maximo Park zurückgekehrt, wurde ich von dem das Set einläutenden Video, das mit Zahlen um sich schmiss und uns irgendwie an unseren allgemein übertriebenen Konsum gemahnen sollte, abgelenkt durch etwas was mich wahrscheinlich noch Jahre im Schlaf verfolgen wird:
Eine tätowierte Lippe!
Nun war der Besitzer des Gesichtstattoos allerdings weder Mike Tyson noch Sheriff aus dem Neumünsteraner Renks Park (der mit dem auftätowierten Stirnband und dem ledernen Cowboyhut, der Bobel wie einen Schokoriegel isst), sondern ein junges Mädchen von ungefähr 20, das ein T-Shirt mit Bambi drauf trug und, ich kann es kaum genug betonen: einen tätowierten Stern auf der Unterlippe!!! Ich wusste gar nicht, das sowas technisch möglich ist. Aber man lernt ja nie aus. Apropos lebenslanges Lernen: Natürlich nutzte ich den Abend wieder, um Pepo ausgiebig über die Feinheiten der italienischen Sprache auszufragen und erhielt wieder mal die beste Lektion, als ich gar nicht mehr fragen wollte. Doch dazu später, das soll nämlich die Punchline werden.
Zunächst fühle ich mich noch verpflichtet, zumindest ein bißchen, auf den Auftritt der Maximo Parker einzugehen: War ganz gut.
Leider kannte ich glaub ich nur das erste Lied (Graffiti) und war danach, wie es mir eigentlich bei fast jedem Konzert geht, leicht gelangweilt und vom Rumstehen und –geschubstwerden leicht angeätzt. Doch da können die ja nix für, die sich da auf der Bühne abmühen, an denen gab’s nämlich gar nichts auszusetzen: Sound war ok (nur kurze Rückkoppler aber das muss bei Rock’n’Roll ja so), Musiker auch und Publikum, wie ausführlich geschildert auch sehr unterhaltsam. Letzteres wiederum kann wahrscheinlich aber auch nur in Italien so sein: dass das Publikum interessanter ist als die Leute auf der Bühne. Nicht zu Unrecht sagt man diesem Völkchen einen extremen Hang zum Individualistentum und einen überausgeprägten Drang zur Selbstdarstellerei nach. Dazu passt die sehr treffende Bemerkung aus dem Buch “Überleben in Italien” von Beppe Severgnini: “In diesem Land gibt es keine Komparsen, nur Hauptdarsteller.”
Einer von diesen (Pepo) erteilte mir dann beim After-Show-Burger eine wiedermal ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Lektion in italienischer Grammatik, nachdem ich ihn fragte:
“Ti piacerebbe vivere qualcun giorno fuori d’Italia?” und damit sagen wollte “Würdest du eines Tages gerne außerhalb von Italien leben?” Er guckte mich nach meiner unbeholfenen Artikulation aber wieder schön verdaddert an, weil ich nämlich in Wahrheit gesagt habe: “Würdest Du gerne einen Tag außerhalb von Italien leben?” Was tatsächlich eine nicht unerhebliche Bedeutungsnuance darstellt, die aus einer normalen Frage eine ziemlich behinderte macht.

Mittwoch, 11. April 2007

Kurze Zeit später

Leicht betrübt/erzürnt ob des suboptimalen Ergebnisses der Palestra-Recherche ging ich mit dem guten Pepo nach Hause. Vor der Haustür trafen wir auf unseren Nachbarn, einen Libanesen namens Ramses. Jener ist ein recht mondäner Typ, der sich stylish kleidet, unter anderem nach guter italienischer Art mit viel Brusthaar herzeigendem, weit aufgeknöpftem Hemd. Ramses wollte gerade in die Stadt fahren, um sich mit unserem Hausbesitzer zum Abendessen zu treffen und lud uns gleich ein, ihnen Gesellschaft zu leisten. Wir aber wollten nicht mit, stattdessen führte ich Pepo in eine um die Ecke liegende Tavola, ein günstiges Restaurant mit italienischern Küche, aus.
Na aber hallo, das war mal ein Laden!
Doch dazu gleich mehr. Zunächst habe ich den guten Pepo auf dem Weg dorthin noch schnell über Ramses ausgefragt, weil der mich irgendwie neugierig gemacht hatte und der gute Pepo stand mir natürlich wie immer in abwechselnd Italienisch und fiesem Borat-Englisch Rede und Antwort: “Rrramses, he is very riiich, he don’t do anything, not work. Always have very good looking girlfriend and travel very much, now he meet the owner from our house which also don’t work and is very riiich.” Natürlich kamen wir daraufhin darüber ein, dass Ramses wahrscheinlich ein Pharao ist. Ramses, il faraone, heißt er dementsprechend nun jetzt auch in der sich stetig erweiternden Pepo/Pippo-Terminologie.
Dann also bei der Tavola angekommen: Ein herrlich morbider Schuppen. Der Fernseher war sehr laut aufgedreht und alle Gäste hatten sich so hingesetzt, dass sie im idealen Winkel zu selbigem saßen, daher musste ich mich auch neben Pepo und nicht ihm gegenüber hinsetzen. Macht man wohl so in einer Tavola.
Der Besitzer kam dann auch gleich auf uns zu, um unsere Bestellung aufzunehmen. Er war ein älterer Herr von typisch italienischem überstark ausgeprägtem Selbstbewusstsein und auffallend schlechten Zähnen. Auf Pepos Frage nach der Spezialität des Hauses empfahl er uns etwas Schmackhaftes aus Sizilien, denn er war Sizilianer. Etwas Spaghettiges mit Pesto sollte es sein, das er mit folgenden ungefähren Worten anpries: “Wenn Ihr ein wirklich gutes Spaghettigericht mit Pesto (in Wahrheit hat er natürlich den Namen des Gerichtes genannt, den ich aber noch beim Essen wieder vergessen habe) wollt, dann müsst ihr das bei mir essen. Nur bei mir gibt es das in solch einer ausgezeichneten Qualität. Das gibt es in ganz Mailand kein zweites Mal. Nur bei mir.” – Tja, da mussten wir es ja bestellen. War auch wirklich recht gut, und das obwohl es aus der Mikrowelle kam.
Kurz nachdem uns aufgetischt wurde, machte sich der Inhaber, dem, spätestens nachdem er sich uns als Sizilianer offenbart hatte, etwas Patenhaftes anhing, auf, die Kneipe zu verlassen. Dazu legte er sich einen Mantel über die Schultern (er schlüpfte wohlgemerkt nicht ganz hinein) und ich meine mich auch an einen, den semi-majestätischen Eindruck eines Schutzgelderpresserbandenbosses unterstützenden, schmucken Handstock zu erinnern, den er sich auch noch griff. Uns zunickend, ließ er uns noch wissen: “Macht Euch keine Sorgen, meine Kinder sind hier, die bedienen Euch, während ich nicht da bin. Ciao, buona serata!”
Alles klar, da waren wir aber beruhigt, schließlich hatten seine Kinder uns ja schon die ganze Zeit bedient. Seine Kinder waren: 1. Eine pummelige Tochter mit kurzen, fettigen, merkwürdig blond angefärbten Haaren, so als ob sie sich sie erst hatte blondieren wollen und es sich dann aber doch noch anders überlegt hatte und den Färbevorgang mitten drin abgebrochen hätte. 2. Ein unglaublich verpennter Sohn, der aussah, als sei er gerade aus dem Bett gefallen, und ständig vor sich hin gähnte. 3. Der Hauptdarsteller: Maurizio. Ein sehr redseliger Typ, der auch für das Fernsehprogramm verantwortlich war. Troja fing gerade an. Was mir als altem Sprachforscher natürlich gleich auffiel: “Pepo, 'troia' heißt doch auf Italienisch ‘Nutte’, nicht wahr?” – “Richtig, Pippo, wird auch gerne als Schimpfwort verwendet, so sagt man zum Beispiel gerne mal ‘porca troia’, wenn einem etwas nicht behagt” – “Soso, dann ist es doch aber recht witzig, dass der Film so heißt?” – “Richtig, obwohl die Stadt, um die es in dem berühmten Krieg ging, auf Italienisch auch ‘Troia’ heißt, hat man das Problem des Synonyms in Italien allerdings gallant umschifft, indem man es bei dem Film ausnahmsweise mal bei dem Originaltitel, Troy, belassen hat. Vielleicht auch, um eventuelle Hoffnungen, es könnte sich dabei um ein leicht schmuddeliges amouröses Filmchen handeln, gleich von Anfang an die Grundlage zu entziehen.
Zurück zu Maurizio: Er offenbarte sich sogleich als wahrer Cineast und genereller Kenner der Popkultur, indem er uns monologisierend längere Abhandlungen über seine Lieblingsfilme (Titanic, Moulin Rouge) und seine Lieblingsmusiker (Madonna und eine italienische Ausgabe von Celine Dion) hielt. Pepo hielt daraufhin mit seinem Urteil über Maurizio nicht lange hinterm Berg und raunte mir ein “Queer!” zu, allerdings unternahm er doch noch den Versuch der Gegenprobe, als Maurizio über das Musical “Cabaret”, das zur Zeit in Mailand aufgeführt wird, sprach. “Ah”, meinte Pepo, “das findest Du gut, weil da die geile La Hunziker die Hauptrolle hat!” –“Die Hunziker?”, urteilte der Fachmann in Maurizio-Gestalt, “Pah! Mittelmaß!” Nun gut, Paolos These war bestätigt und Maurizio so warm wie die Mikrowellen-Spaghetti mit Pesto.
Das Gute daran war allerdings, dass uns ungefragt noch allerlei Zusatzleckereien auf den Tisch gestellt wurden und auch, dass der Caffe’ und der Verteiler nicht auf der Rechnung auftauchten. Pepo ist übrigens bis heute überzeugt, Maurizio hatte auf mich ein Auge geworfen, dabei hat er ausschließlich mit Pepo geredet. Allerdings über mich. So schlug der Kultur-Experte vor, mit dem Deutschen (mir) in das Dracula-Musical zu gehen, das würde mir wohl gefallen. In Italien heißt es nämlich über den deutschen Musikgeschmack, er sei eine Mischung aus Techno (Scooter und Einsweipolizei sei Dank) und Heavy Metal. Letzteres wohl, weil für den Italiener hinter den Alpen gleich Finnland anfängt. Und da wohnt Maurizio zufolge wohl auch irgendwo Dracula.

Montag, 26. März 2007

Rudimentäre Kenntnisse

So langsam wird es Zeit, an das Aufsuchen einer adäquaten Sprachschule zu denken. Denn mit dem bisher mehr schlecht als recht bewährten Prinzip des Herleitens aus verwandten Sprachen stoße ich leider mittlerweile viel zu häufig an die Grenzen des Verständlichen und bin, tja, mit meinem Latein am Ende. Beispiele gibt es zu Hauf:
Der Mitbewohner ist so eben zur Tür hinaus, um im Supermarkt das Nötigste zu besorgen, da fällt mir ein, es fehlt das Waschmittel im Haus. Also flugs im Universal-Wörterbuch nachgeschlagen und den guten Pepo angerufen und ihm mitgeteilt, er solle doch bitte noch detersivo mitbringen. Aha, soso, tönt es vom anderen Ende der Leitung. Aber welches denn, das für die Waschmaschine oder das für das Geschirr? - Wie? Ach so, kombiniere, in dieser vokabelarmen Sprache nutzt man also für Waschmittel und Geschirrspülmittel das selbe Wort und ist auf zeitraubende Kontexteinbettungen angewiesen. Also blitzschnell nach der Antwort gesucht. Ich habe zwar die Frage in lupenreinem Mikele-Shumaker-Italiano gestellt aber Pepo in Borat-Englisch geantwortet, ich also wieder auf Schumi-Italienisch: Per …äh…(wie hieß das noch auf Spanisch)…ropa...äh (und auf Englisch?)…ropes (nee, das heißt Seil)…allora…vestisi…no..vesititi! Pepo begreift: Ah, per la lavatrice? – Si! (das heißt ja wohl Waschmaschine hoffe ich mal), gut das wäre geschafft. Der nächste Tag:
Nachdem ich mich am Vortag im Fitnesscenter (das übrigens palestra heißt und nicht wie ich angenommen hatte gimnasio, das nämlich gibt es so gar nicht und wird wenn überhaupt mit ginnastica assoziert, was so viel wie Sportunterricht bedeutet) über die Preise informiert hatte und das Gefühl mich beschlich, die junge, knapp bekleidete Dame am Empfang wolle mich, gelinde gesagt übers Ohr hauen, habe ich beschlossen Pepo als consigliere (ein Wort das ich aus dem Paten kannte) mitzunehmen. Vorher hatte er mich natürlich über das palestra im Allgemeneinen und über die dort Sport treibenden Damen im Speziellen ausgefragt. Darauf berichtete ich ihm, die Dame am Empfang habe eine recht gute Figur, sei aber kriminell veranlagt und überdies tätowiert, was mir persönlich halt nicht so gefiele. Nun gut, wir also beide dahin gegangen und die Dame am Empfang (die heute eine züchtige Strickjacke trug) nach den Preisen ausfragen wollen:
Erst einmal ein bißchen Smalltalk, haha, soso, gutgut, worüber wollen wir reden, über Juventus? Häh, nee, Pepo, über die Preise! Ja, also gut, habt ihr ne Preisliste? Nee. Wie nee? Na ja, ich kann Dir das hier auf den Zettel schreiben und gut ist. Was? Na ja, mach halt mal. Und ein Zeugnis vom Arzt, dass er Sport machen darf, braucht der gute Pippo (so nennt mich Pepo immer, ist wohl die Abkürzung für Filippo, Inzaghi wird auch so genannt, ebenso wie ein sehr alter TV-Moderator-Stenz, namens Pippo Baudo, der dieses Jahr zusammen mit La Hunziker das furchtbar kitschige San-Remo-Schlagerfestival moderiert hat) das nicht auch? Neenee, ach was, va bene, va bene così! Aha, also nicht…gut was noch, hmm, Pippo hat ja gestern erzählt, du bist tätowiert. Heute sieht man da ja gar nichts von… WAS, ach du Scheiße, das hast du jetzt nicht gerade gesagt, Pepo! Sie ganz locker, nee heute nicht, oh, er wird ja ganz rot der Kleine!
Auf dem Weg nach Hause, erklärt mir Pepo dann noch: "Pippo, you have to learn to recognize the Napolitano accent! That girl was from Napoli! All criminals in Naples" Gut, das mit dem Kriminellen hab ich auch schon gemerkt, so ein Arztzeugnis ist nämlich schon von Nöten, sonst zahlt die Versicherung nicht und warum auf dem Plakat steht, drei Monate gäb's zum Preis von 99,- die Tätowierte erzählt aber was von 320…nun das war meines Erachtens nach auch bereits ihrer kriminellen Energie geschuldet. Nun gut, nochmals Pepo schnell auf sein ungebührliches Verhalten der jungen Dame gegenüber aufmerksam gemacht: Pepo, so geht das aber nicht, das war aber ganz schön peloso! –"Peloso, Pippo? Alle spalle?" Und zeigt mit seinen Händen auf die Schultern. Häh, was habe ich denn jetzt wieder gesagt? Ich meinte doch peinlich, sei das gewesen, embarrassing, eben. "Ah, Pippo, penoso not peloso." – Peinlich und nicht behaart. In jedem Fall aber haarig. Zumindest die Italienischkenntnisse.

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